Erinnerungen festhalten und weitergeben: HSD arbeitet an zukunftsweisenden Formaten des Dokumentarfilms.
Wie kann man Erlebnisse einer Generation an die nächste weitergeben, insbesondere wenn diese Erfahrungen aus Kriegszeiten sind? Wie dokumentiert man gesellschaftlich bedeutsame Dinge für die "Generation Z" der ab 1995 geborenen, die ein ganz anderes Medienverständnis als die erzählenden Personen besitzen? Wie produziert die Gruppe der Medienschaffenden dokumentarische Inhalte, die diese Zielgruppe auch wirklich erreichen und im besten Falle auch "berühren"? Diese Fragen beschäftigen seit Anfang des Jahres eine Projektgruppe der HS Düsseldorf, des WDR und der Firma LAVAlabs MovingImages aus Düsseldorf.
Gemeinsam hat das Team drei Frauen aus Russland, England und Deutschland interviewt, die von ihren Kriegserlebnisse berichteten. Statt eines klassischen Dokumentarfilms wurde die Erzählsituation mittels einer App immersiv in die direkte Umgebung des Betrachters integriert und die geschilderten Situationen mittels Augmented Reality illustriert. Diese Technologie kombiniert digitale Inhalte mit realen Bildern in Echtzeit und erlaubt so eine fast nicht sichtbare Verschmelzung der Realität mit virtuellen Elementen.
So sitzt z. B. die Zeitzeugin aus Deutschland, Anne Priller-Rauschenberg aus Köln, in einem Sessel im Zimmer des Zuschauers und schildert die Enge des Bunkers während der Luftangriffe auf Köln. Durch ein Tablett mit Kamera kann der Nutzer in der Szene navigieren und erleben wie sich die engen Bunkerwände aufbauen, Flugzeuge in England über einen hinwegfliegen oder der russische Kriegswinter erlebt wurde.
"Die Herausforderung des Projekts besteht darin, digitale Technologien behutsam für die Dokumentation von Erinnerungen einzusetzen, so dass weiterhin die Person und ihre Erlebnisse im Vordergrund stehen. Gleichzeitig will man mit innovativen Technologien und interaktivem Storytelling eine Nähe schaffen, die insbesondere die "Digitale Natives" erreicht", schildert Christian Geiger, Professor für Mixed Reality und Visualisierung an der HSD, die großen Herausforderungen des Projekts.
Die Protagonistin erzählt von den Fliegerangriffen in London.
In vielen Iterationen hat ein interdisziplinäres Team von Gestaltern, Informatikern, 3D-Experten und Dokumentarfilmern eine Anwendung für mobile Endgeräte realisiert, die bisher für viel positives Feedback gesorgt hat:
· Auf der re:publica im Mai 2018 in Berlin, eine der größten Konferenzen zu digitaler Gesellschaft in Europa, präsentierte der WDR mit der HSD das Projekt erstmals der Öffentlichkeit und mehr als 180 Personen nahmen an einer strukturierten Befragung teil, die bereits sehr positiv ausfiel.
· auf der "Mensch & Computer" - Konferenz, Anfang September in Dresden, der größte wissenschaftliche Konferenz zu Mensch-Technik-Interaktion in Deutschland, wurde das Projekt als eine der drei besten Demonstrationen bewertet.
· zur weltweit größten Konferenz zu Mixed Reality, der Augmented World Expo / ISMAR in München präsentierte das HSD-Team im Oktober das Projekt im Rahmen eines Workshops "VR/AR for Good", der sich mit Projekten befasst, die einen besonders positiven Effekt auf die Gesellschaft besitzen.
Der WDR hat den aktuellen Prototypen Ende Oktober von einer externen Firma evaluieren lassen, bei der Schüler zwischen 14 und 20 Jahren die App testeten und ihren Eindruck zu dieser Form der Wissensvermittlung äußerten. Das Feedback der Probanden war überraschend positiv und belegt die erfolgreiche Arbeit in diesem Projekt. Das HSD-Projektteam um Chris Zimmer, Nanette Ratz, Michael Bertram und Marvin Voß arbeitet aktuell an Optimierungen, die sich aus der Evaluierung ergaben. Die Veröffentlichung der App für Apple-Geräte ist im Januar 2019 geplant. Eine Version für Android folgt kurz darauf. Aktuelle Smartphones von Apple und auf Androidbasis sind von Haus aus in der Lage, diese Technologie zu nutzen.
Mit der Kriegskinder-App des WDR holt man sich Erlebnisse direkt ins Wohnzimmer.
"Die Zusammenarbeit mit dem WDR-Team und der Produktionsfirma LAVAlabs war nahezu perfekt. Es hat viel Freude gemacht, neue Vermittlungsformate für dieses wichtige Thema zu entwickeln" bewertet Projektleiter Chris Zimmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im MIREVI-Team, das Vorhaben ausnahmslos positiv. Medieninformatikerin Nanette Ratz hat ihre Bachelorarbeit über "Augmented Reality für die Illustration von Erinnerungen" geschrieben. Parallel zum Masterstudium an der HSD arbeitet sie jetzt auch im Folgeprojekt mit, bei dem Freundinnen von Anne Frank über ihre Erinnerungen an die letzten Begegnungen mit Anne Frank berichten.
Einen ersten Bericht über das Kriegskinderprojekt hat der WDR bereits unter diesem Link veröffentlicht.
Ein "Making Of", bei dem das HSD-Team die technischen und gestalterischen Herausforderungen schildert und die ausgewählten Lösungswege illustriert, wurde ebenfalls vom WDR produziert und wird spätestens beim geplanten Veröffentlichungstermin der App im Januar 2019 verfügbar sein.
Ein mittelfristiges Ziel des interdisziplinären Projektteams ist es, die Technologie Augmented Reality als zusätzliche Variante der dokumentarischen Wissensvermittlung zu etablieren. Die wichtigste Botschaft dieser Produktion hat jedoch Anne Priller-Rauschenberg, eines der Kriegskinder aus der App, für die nachfolgenden Generationen: "Kein Krieg, kein Sieg bedeutet mehr als [der] Frieden. Sie sollten achtsam bleiben, dass so etwas nie wieder passiert. Das wünscht man keinem."
Projektseite: https://www.mirevi.de/projects/kriegskinder
Illustration des russischen Winters in der Kriegskinder-App.